Die Drehbuchschneiderei

Zwei Arten von Filmen: anspruchsvolle und Genrefilme?
15/12/2016
Alexander Lauber
Aus der Rubrik:

Alexander Lauber ist Lektor und Dramaturg, Mitglied im Vorstand des Verbandes für Film- und Fernsehdramaturgie VeDRA e.V. und Redakteur des Online-Fachmagazins Wendepunkt. Die ARD Degeto und das ZDF gehören seit Jahren zu seinen zufriedenen Kunden. Alexander lebt und arbeitet in Berlin. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit Schach und Meditation.

Dieser Artikel erschein auch auf filmschreiben.de unter dem Titel Zwei Arten von Filmen: anspruchsvolle und Genrefilme?.

Noch bis zum 21. Dezember können sich Autorinnen mit ihren Stoffen im Rahmen der Genrenale für den Arri Genre Pitch 2017 bewerben. Höchste Zeit, sich einmal zu fragen, was es überhaupt mit diesem Begriff auf sich hat.

Ich habe vier Jahre lang als Betreiber eines kleinen Arthousekinos in Berlin-Friedrichshain gearbeitet. Täglich liefen dort über 20 verschiedene Filme, viele davon deutsche Produktionen. Innerhalb des Teams machte dabei ein Witz die Runde: „Wenn ein Film von einer psychisch kranken Frau oder von Nazis handelt, ist es vermutlich ein deutscher Film. Wenn er von einer psychisch kranken Frau und von Nazis handelt, ist es mit Sicherheit ein deutscher Film!“

Deutsche Filmemacher lieben es anspruchsvoll. Eine Geschichte, die sich in einem Satz pitchen lässt, hat nichts Neues zu verhandeln, hörte ich gerade Johannes Naber, den Regisseur von ZEIT DER KANNIBALEN, bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des FSE argumentieren. In Deutschland herrscht die Meinung vor, es gäbe zwei Arten von Filmen: anspruchsvolle und Genrefilme. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Immerhin, derselbe Johannes Naber war es auch, der von einem Auftritt in Südkorea zu berichten wusste, wo er mit dieser Unterscheidung auf völliges Unverständnis stieß. Ein Nicht-Genre-Film? Was um Himmels Willen soll das sein!

Als Erfinder der Genre-Idee gilt gemeinhin Aristoteles. Er unterschied Komödien und Tragödien. Nichts sonst. Sehr südkoreanisch.

Huan Vu, Mitbegründer der Plattform Neuer Deutscher Genrefilm und Autor eines lesenswerten Blogbeitrag zum Thema, will drei Säulen ausgemacht haben, auf denen er seine Definition des Genrebegriffs gründet: Fantastik, Eskapismus und Performanz.

Perforwas??? Filmwissenschaftler benutzen solche Wörter. Gemeint ist ein Kino, das direkt auf die Magengrube zielt, anstatt liebevoll die grauen Zellen zu massieren. Na schön, das kann man wohl gelten lassen. Unbehagen bereitet hingegen die Gleichsetzung von Genre und Fantastik. Da fühle mich als Autor doch gleich wie in der Raucherzone am Hauptbahnhof. Eingesperrt im unsichtbaren Bannkreis der Theorie. Eine der interessantesten Genrefilme der jüngeren Vergangenheit (und ein beneidenswert simpler obendrein), GREEN ROOM des Amerikaners Jeremy Saulnier, würde sich gemäß dieser Definition nur eingeschränkt als Clubmitglied qualifizieren. Kann ja wohl nicht wahr sein!

Sagen wir es klar: Genre ist nicht optional. Ein Bäcker muss entscheiden, ob er ein Brot bäckt oder einen Kuchen. Ein Architekt muss wissen, ob er eine Fabrikhalle entwirft oder ein Einfamilienhaus. Selbst Mozart war sich stets dessen bewusst, ob die Muse ihm gerade eine Sinfonie diktiert oder ein Klavierkonzert.

Vor einigen Jahren hatte ich einmal Gelegenheit, im Rahmen eines Mini-Seminars einem „echten“ Hollywood-Produzenten einen meiner Stoffe zu präsentieren: Steven Bratter, Executive Producer des Sylvester Stallone-Vehikels DEMOLITION MAN aus dem Jahr 1993. Nicht die ganz große Filmkunst, zugegeben. Aber doch immerhin ein veritabler Publikumserfolg, der im kollektiven Gedächtnis ein paar Spuren hinterlassen hat. Bratter hatte an jeden Teilnehmer genau drei Fragen: „Welchem Film ähnelt der deine?“ und „Wie lautet deine Geschichte in einem Satz?“ waren die ersten beiden. Seine letzte Frage freilich war die nach dem Genre.

Ich werde nie den Ausdruck auf Stevens Gesicht vergessen, als einer der Befragten antwortete: „Ich weiß es noch nicht!“

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